Zockwork Orange

Die Faszination Deus Ex

Heads up, JC. Your brother Paul is on his way to meet you at the dock. The NSF is raiding the island, and shots have been fired. I repeat: find Paul. I will monitor your situation from HQ.”

So startet das Spiel, das von den Meisten unumstritten als eines der besten Werke der PC-Geschichte bezeichnet wird. Dass auch dieses Spiel seine Schwächen hatte, wie Fabian in seiner Review zu Deus Ex: Human Revolution aufzeigt, wird gerne ignoriert, denn in Erinnerung blieb eine fantastische Geschichte mit wirklich spaßigem Gameplay.

Festzuhalten bleibt allerdings auch, dass im Laufe der Zeit Deus Ex immer mehr zu einer Legende verklärt wurde, die Late Adoptern viel vom unbefangenen Spaß nehmen musste, den ich noch anno 2000 damit hatte. Ich werde an dieser Stelle keine literarische und popkulturelle Analyse des Werks vornehmen, denn dazu bin ich gar nicht fähig und sehr viel intelligentere Köpfe haben sich damit schon auseinandergesetzt. Vielmehr will ich meinen persönlichen Zugang zur Legende Deus Ex darlegen und versuchen diese mythische Verklärung für heutige Gamer zu erläutern.

Obige Einleitung war auch das Erste, was ich von der Demo, die ich damals über die Heft-CD der Gamestar bezogen habe, mitbekam. Ich sah ein Spiel, das echt interessant aussah und mir viele Möglichkeiten versprach – sonderlich voreingenommen ging ich aber nicht an das Abenteuer von J.C. Denton. “Heads up, JC.” war also mein Einstieg in eines der größten Vergnügen meiner Spielerkarriere. Um es kurz zu machen: Die Demo, welche den Umfang von einer halben Stunde hatte, wurde in den nächsten Tagen mindestens 10-mal durchgespielt, so fasziniert war ich von den Möglichkeiten, die mir der Einsatz an der Freiheitsstatue bot.

Mir wurde zu diesem Zeitpunkt schon deutlich, welche Tiefe das Spiel hatte, obwohl ich nur einen kleinen Schnipsel gesehen hatte. Um mein mangelndes Verständnis von den Themen deutlich zu machen, kann ich nur sagen, dass ich den Namen Deus Ex für pubertäre Späße missbraucht hatte. Ich verstand nichts von der offensichtlichen Hommage an das dramaturgische Element “Deus ex Machina“, den offensichtlichen Anlehnungen an zum Teil Jahrtausende alte Verschwörungstheorien, auch wenn das Potpourri dieser Handlungsstränge dem Spieler stellenweise mit der Brechstange ins Gesicht geschlagen wurde. Diese Dimensionen wurden mir erst später bewusst. Nein, ich erfreute mich lediglich an einem wirklich guten Spiel, dessen Story-Twists ich zwar nicht immer vollständig nachvollziehen konnte, aber die dennoch mehr als gut genug waren, um sie einfach so spannend zu finden.

Das Hauptelement blieb jedoch eine für mich sehr ungewohnte Handlungsfreiheit, die mich motivierte, Missionen mehrmals anzugehen, weil ich wissen wollte, wie sich die Karte in der Haudrauf-Methode spielt. Es war eigentlich ziemlich egal, dass die Handlungsfreiheit nur vorgegaukelt wurde – das Spiel war unter dieser Kosmetik linear wie jeder andere Shooter und der Einfluss auf die Story mehr als lachhaft – es ging um die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob ich den Terroristen vor mir erdolche oder doch nur betäube. Das Spiel selbst hat keinerlei moralisches Korsett aufgezwungen und dennoch habe ich mich mies gefühlt, wenn ich zur Pistole greifen musste. Exakt dieses Gefühl war so faszinierend an Deus Ex. Dieses “Ich hätte es doch eigentlich auch anders machen können”-Gefühl. In der aktuellen Generation der Fast Food-Gamer würde dieses Prinzip aber nicht aufgehen. Der Spieler von heute will ein direktes Feedback über sein Verhalten. War ich böse, Mama? Ja, war ich? Wenn es kein audiovisuelles Feedback gibt, dann doch immerhin eine Statistik, mit der man seinen Badboy-Score selbst errechnen kann. Deus Ex aber funktionierte anders und brauchte ein solches Element einfach nicht.

In Erinnerung blieb Deus Ex hauptsächlich für seine popkulturellen und literarischen Verweise – vergessen wird jedoch häufig, dass es im Kern ein bahnbrechendes Gameplay bot, das Pate für viele heutige Konzepte steht. Das sollte bei den vielen Verweisen nicht vergessen werden, denn viele Spiele würden anders aussehen, wenn Warren Spector nicht dieses Meisterwerk geschaffen hätte.

Ach ja, weil es immer wieder auftaucht, will noch mal darauf hinweisen, dass Deus Ex 2 ganz bestimmt kein schlechtes Spiel war. Es war einfach nur nicht so bahnbrechend und genial wie der erste Teil.

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