Bleibt ein Weilchen und hört zu. Lasst mich euch von Magnus, dem Barbaren erzählen. Dem größten Krieger, der je in Sanktuario gelebt hat. In der Vergangenheit haben wir zusammen viele Schlachten geschlagen, auch wenn ich selbst damals nur ein Junge von vierzehn Wintern war. Ich folgte ihm gegen die geballte Macht der drei großen Übel, stieg mit ihm in die Hölle hinab und schließlich sahen wir, wie seine Heimat, der Berg Arreat, brannte. Magnus war mein Lieblingscharakter in einem meiner Lieblingsspiele, mit dem ich über die Jahre unzählige Male die Armeen der Hölle in ihre Schranken verwiesen habe – mit Axt und Schild, Speer und Zweihänder. Doch diese unzähligen Male waren scheinbar nicht genug für die Fürsten der Hölle, denn sie sind wieder da. Und auch, wenn der Barbar nicht zwangsläufig von der Geschichte aus derselbe aus dem Vorgänger ist, so ist er es doch gefühlt für mich.
Wiedersehen mit alten Freunden
Ich starte das Spiel, logge mich ein und schaue auf die Charakterauswahl. Sofort springt mir der Barbar ins Auge. Massig, gezeichnet von Narben, grauhaarig und irgendwie mit einem entschlossenen, aber müden Ausdruck im Gesicht. „Hallo, alter Freund.“, denke ich mir, „Die Zeit ist nicht spurlos an dir vorüber gegangen… Aber damit wären wir schon zu zweit.“
Zwölf (»Diablo 2«), beziehungsweise elf Jahre (»Lord of Destruction«). Hat Blizzard also in dieser Zeit einen würdigen Nachfolger zuwege gebracht? Ich starte das Spie und lande nach einem gezeichneten Intro, in dem Magnus mit sonorem Bass erzählt, was ihn erneut an den Höllenschlund verschlägt, in Tristram. Bunt ist es. Aber das kennt man ja schon aus all den Previews. Mehr als das irritiert mich aber das Interface, das doch sehr an Blizzards Goldesel »World of Warcraft« erinnert, was wohl dem großen Fokus auf das kooperative Spiel geschuldet ist. Die zweite Beobachtung, die ich mache: das Designteam legte im Vergleich zu den Vorgängern diesmal wirklich viel Wert auf Dialoge und Story. Immer wieder bleibe ich stehen und höre mir kleine Dialoge zwischen den Dorfbewohnern an, die nicht nur witzig, sondern auch auf eine Weise atmosphärisch sind.
Leah, die Nichte meines alten Bekannten Deckard Cain, weiht mich in die aktuellen Geschehnisse ein: Die Toten haben sich aus den Gräbern erhoben, ein Meteor scheint in die verfluchte wie berühmte Kathedrale von Tristram eingeschlagen zu sein und Leah musste die Flucht ergreifen. In all der Aufregung haben sich Leah und Cain beim Einschlag aus den Augen verloren und sie geht, so sagt sie mir, davon aus, dass dieser sich noch immer in dem verfallenen Gotteshaus befindet. Ich als Spieler werde losgeschickt, den alten Mann lebend wieder nach Hause zu bringen. Also raus aus dem Dorf und… Da ist es wieder! Dieses Gefühl, das ich so vermisst habe und das weder »Torchlight«, »Loki« und nicht einmal »Bastion« (welches ich aus anderen Gründen unglaublich schätze!) rekreieren konnten. Gegnergruppe um Gegnergruppe zerlegen, immer auf der Jagd nach Erfahrungspunkten und noch besserer Ausrüstung. Dieser Spielfluss, wie ihn zu erzeugen nur ein »Diablo« bislang bei mir geschafft hat. Der Barbar rennt stets direkt dahin, wo die Gegnermassen am dicksten sind, zerlegt Zombies in ihre Einzelteile, fegt durch Ränge von Dämonen und ich denke mir „Ja! Genau so! Wie mir das gefehlt hat…“ Aber wie ist es um einen anderen, extrem wichtigen Punkt bestellt, der die Serie ausmacht? Wie steht es um die Atmosphäre?
Abschied von alten Stärken
Titel aus der »Diablo«-Reihe konnten storytechnisch noch nie mit abendfüllenden Epen wie »Dragon Age: Origins«, »The Witcher« und anderen konkurrieren. Sicher, es gab jede Menge Hintergrundwissen um die Zakarumkirche, die Sieben Herren der Unterwelt, den Untergang von König Leoric und so vieles andere, aber was ich in den Vorgängern davon gesehen hatte, beschränkte sich auf das Notwendige.
Dieser Minimalismus wurde aber stets von einer enorm dichten Atmosphäre ausgeglichen. Es gab immer dieses Gefühl des Alleinseins. Allein in der Dunkelheit, umgeben von verdrehten, mordlüsternen Kreaturen, dämonisch wie untot. Das Allerwichtigste aber war das Gefühl, dass alles auf eine Konfrontation mit den Herren der Hölle persönlich zusteuert, diesen uralten, unmenschlichen Wesen, die so mysteriös und furchteinflößend waren. Sie waren das Urböse persönlich, geheimnisvoll und fremdartig in ihrer Motivation, übermächtig und erstickend brutal. Selbst den niederen Dämonen haftete diese Art Mysterium an und machte sie auf diese Art zu wandelnden Alpträumen. Es sorgte außerdem dafür, dass das erste Diablo von 1997 zu einem der atmosphärischsten Titel wurde, die ich kenne; Wer ist der Butcher? Warum sitzt er allein in dieser Kathedrale? Warum um Himmels Willen und zu welchem Zweck zerhackt er Berge von Leichen?!
»Diablo 3« wählt bedauerlicherweise einen anderen Weg. Story und Atmosphäre sind nämlich für Blizzards neusten Titel Stärke und größter Schwachpunkt zugleich. Während sich überall kleine Anekdoten verstecken (besonders das „Lore-Feature“ im Spiel ist eine sehr nette Implementierung, weil es mir Details über die Welt und ihre Bewohner verrät) und auch die Dialoge diesmal ihren Namen verdienen und nicht nur scrollende, von Sprachausgabe begleitete Textfenster darstellen, haben die Entwickler in Bezug auf die Spielwelt den größten Fehler gemacht, den sie im Vergleich zum Vorgänger hätten machen können: Das Mysterium geht komplett verloren. Wenn ich im Spiel immer wieder Briefe der Herren der Unterwelt finde, in denen sie Motivationen preisgeben, oder gar der Kopf eines dicklichen Asmodan in der Luft erscheint, um mir auch ja immer wieder zu versichern, dass es nichts ändert, dass ich gerade seine halbe Armee zerlegt habe, wirkt es eher lächerlich bis kindisch als bedrohlich. Und selbst dann hätte man daraus einen Dialog zwischen zwei erbitterten Gegnern (den Dämonen und dem Spieler) entspinnen können. Hat man aber nicht gemacht. Von den „lustigen“ kleinen Goblins mit den Goldsäcken will ich hier gar nicht erst anfangen! In der aktuellen Form wirkt es eher wie die folgende Szene, die jeder kennen dürfte, der mit den klassischen Samstagmorgen-Cartoons aufgewachsen ist:
httpv://www.youtube.com/watch?v=xG8B7eCAo4Y
Die Handlung, obwohl klischeehaft, mag an einigen Stellen nett geschrieben sein und hat auch durchaus Glanzmomente. Sie geht sogar auf Dinge ein, die im Storyteil des Handbuchs von »Diablo« nur im Nebensatz erwähnt werden. Allerdings wird mir auch genau deshalb schmerzlich bewusst, dass selbst eine noch so runde Handlung nicht allein stehen kann, wenn sie auf die falsche Art transportiert und vermittelt wird. Das stärkste Atmosphäreplus der ersten beiden Spiele, die Antagonisten, zu vermenschlichen und zu einer Karikatur ihrer selbst zu machen, gehört dazu, auch wenn dafür die Helden mehr Persönlichkeit spendiert bekommen haben. Jedenfalls merke ich auch der Hintergrundgeschichte an, dass sich über die Jahre sehr viele unterschiedliche Autoren an ihr zu schaffen gemacht haben. Immer wieder tauchen kleinere bis mittlere Logiklücken auf, die mehr schlecht als Recht erklärt werden. Man denke nur an den Umstand, dass lediglich das Ende des Kriegers im ersten »Diablo« dem Kanon entsprechend erklärt wurde, ist der Dunkle Wanderer im zweiten Teil doch weder weiblich (Bogenschützin), noch dunkelhäutig (Magier).
Sich an neue Gegebenheiten gewöhnen
Wurde die Welt also nach über einem Jahrzehnt mit dem erhofften Meisterwerk beschenkt, auf den all der Hype hat schließen lassen? Nein! Sie wurde zumindest nicht beschenkt mit dem, was »Diablo 3« hätte sein können – aber das liegt allein an der etwas enttäuschenden erzählerischen und stilistischen Komponente. Werde ich meinem Barbaren auch nach dem ersten Durchspielen weiterhin freudig zuschauen, wie er als Wirbelwind aus Metallplatten und Klingen durch hunderte Dämonen fegt? Aber ja! Denn Blizzard hat einen hervorragenden Spielfluss hinbekommen.
Nach wie vor geht es in »Diablo 3« um die Sammelwut und spielerische Geschicklichkeit. Um den bloßen Akt des Spielens und das Wechselspiel aus Herausforderung und Belohnung, weil sich ja hinter der nächsten Ecke eine noch stärkere Waffe, eine noch imposantere Rüstung, ein noch merkwürdigerer Gegner verbergen könnte. Aber besonders wegen mangelnder Präsentation habe ich stets das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Möglicherweise lernt das Designteam ja aus diesen Fehlern, wenn es an die Entwicklung der Erweiterungen geht, in denen auch die letzten offenen Fragen geklärt werden sollen.