Wenn ein Spiel jahrelang in der Entwicklungshölle schmorrt, ist es nicht selbstverständlich, dass das Ergebnis am Ende optisch, technisch und spielerisch dennoch gefällt. »Dead Island 2« gelingt jedoch genau das: Als Überlebender einer Zombieapokalypse hackt, knüppelt und matscht man sich durch ein beeindruckend detailliert ausstaffiertes Los Angeles, das auch als unkomplizierter Coop-Spielplatz für viel Gelächter und Gejohle sorgt.
First things first: Hauptattraktion eines Zombiespiels wie »Dead Island 2« – machen wir uns da nichts vor! – sind selbstverständlich die schier unendlichen Wege, die Untoten in ihre Einzelteile zu zerlegen. »Dead Island 2« spart sich hier kaum ein Detail und inszeniert die Zerfleischung der einst menschlichen Gegner in absurder Grausamkeit. Gliedmaßen abtrennen, Zombies in Brand stecken oder gleich halbieren hat man zwar prinzipiell schon in Videospielen gesehen, allerdings niemals zuvor mit so einem ausschweifenden und kleinteiligen Schadenssystem (von der Marketingabteilung vielsagend F.L.E.S.H. genannt). Köpfe werden Stück für Stück zerlegt, Fleisch von den Knochen geschält, Kiefer hängen herunter, Augen ploppen aus ihren Höhlen, Gedärme entrollen sich aus geteilten Leibern. Mein persönliches Highlight ist ein Faustschlag mitten ins Antlitz eines kürzlich Verstorbenen, bei der nicht nur die Faust zum Hinterkopf wieder herauskommt, sondern gleich das komplette Gesicht ausgestanzt wird, so dass man das sonnige Los Angeles durch das klaffende Loch im Schädel bewundern kann. Auch am anderen Ende solcher Auseinandersetzungen setzt sich diese Detailfreude fort: Zähflüssiges Blut rinnt an Klingen und Knüppeln hinab und nach längerer Benutzung gibt es deutliche Gebrauchsspuren zu erkennen, wie etwa tiefe Scharten in einer Schwertschneide.
Herausragend ist die Vielfalt der Zombies: Es gibt sie in allen möglichen Hautfarben, mit verschiedenen Staturen, Alters- und Berufsklassen. Es gibt Polizisten-Zombies, Sanitäter-Zombies, Jogger-Zombies, Barista-Zombies, Schauspieler-in-Kostüm-Zombies, Oma-im-Bikini-Zombies, Brautjungfer-Zombies, Imker-Zombies, Bodybuilder-Zombies und unzählige weitere mit verschiedensten Frisuren, Hintergründen, Kleidungsstilen und Hobbys. Hier und da begegnet man mal einem Doppelgänger, dennoch ist die optische Abwechslung bei den Gegnern erstaunlich hoch. In einem Zombie habe ich etwa einen alten Schulfreund wiedererkannt, inklusive Frisur, Haarfarbe, passender Kette und Kleidungsstil – der Philipp-Zombie musste allerdings dennoch dran glauben!
Beinahe eine immersive Sim
Für manch einen wäre damit alles gesagt, denn über die Brutalität des Spiels dürfte kaum hinwegzusehen sein. Wer so ein Gemetzel grundsätzlich für falsch hält und ablehnt, der hat mit »Dead Island 2« den idealen Kandidaten, um die nächste Killerspieldebatte zu entfachen. Dennoch täte man dem Spiel unrecht, würde der Test bereits hier enden. Denn blickt man hinter den Gore, verblüfft »Dead Island 2« als überraschend spannendes Action-RPG mit Erkundungsfokus, das beinahe schon einer immersive Sim wie Prey und Dishonored gleicht. So geben sich die Entwickler bei der Gestaltung und Einrichtung der angenehm offenen Umgebungen sichtbar ebensoviel Mühe wie bei den anatomischen Details der Gegner. Zwar ist Los Angeles nicht vollständig frei begehbar, wie man es etwa aus Spielen wie Assassin’s Creed oder Elden Ring gewohnt ist, sondern in mehrere kleine Zonen unterteilt. In diesen kann man sich jedoch frei bewegen und erkundet zum Beispiel Villenviertel, ein Filmstudiogelände samt verschiedener Filmsets oder den berühmten Venice Beach, den man unter anderem aus vielen Filmen und Serien, aber auch aus GTA V schon kennt.
Im Nobelviertel Bel Air etwa kann man nach Belieben mehrere High-End Häuser samt ihrer Nebengebäude, zu Privatbars umgebaute Kellergeschosse und natürlich jede Menge Terrassen, Pools, Garagen und Gärten betreten. Dabei bewegt man sich nicht ausschließlich linear vorwärts, sondern stellt manches mal erstaunt fest, dass man nach dem Öffnen verschiedener Türen und Gartentore plötzlich wieder im Vorgarten des soeben erkundeten Hauses steht. Ähnlich liebevoll gehen die Designer auch mit den interaktiven Elementen um: Man findet überall Loot, versteckte Waffen, Safes, Schlüssel, Nebenmissionen, Textschnipsel, Audionachrichten und viele weitere kleine Geheimnisse wie auslösbare Todesfallen für die Zombies, die ein ausgiebiges Erkunden lohnenswert macht. So lässt sich etwa mit Wasser, Benzin und Säure experimentieren, Dinge lassen sich unter Strom setzen und anzünden und selbst ein rudimentäres Physiksystem hat es ins Spiel geschafft, wodurch zum Beispiel brennende Benzinfässer in eine Rotte Zombies rollen können. Gleichzeitig wird einem nichts von all dem auf die Nase gebunden. Man kann an vielen Dingen blind vorbei laufen oder sie ignorieren, wodurch die Erkundung jedoch gerade spannend wird. Nur wer sich gut umsieht, wird alle Einzelheiten, Ecken und Nischen entdecken. Aber sollte man mal partout einen Haustürschlüssel nicht finden, kann man alternativ auch kurzerhand ein Oberlicht einschlagen und übers Dach einsteigen. Doch Vorsicht: Viele Häuser sind alarmgesichert und eine schrille Sirene lockt die Zombies an.
Zu dritt nach LA
Der bereits erwähnte Coop-Modus ist denkbar einfach gestrickt: Man zerstückelt die Zombies, aber zu zweit oder zu dritt. Via flexiblem Drop-In-Drop-Out-Coop lässt sich die gesamte Kampagne inklusive Nebenmissionen gemeinsam erleben. Einzig die ersten ca. 90 Minuten sind rein dem Singleplayer vorbehalten, ab dann jedoch kann man jederzeit gemeinsam mit anderen Spielern Los Angeles unsicher machen. Dabei hat man die Wahl, ob man sein Spiel öffentlich, nur für Freunde oder auch für niemanden zugänglich macht. Und das funktioniert ganz wunderbar: Man zerlegt gemeinsam die Untoten, rettet sich gegenseitig, kombiniert Fähigkeiten oder löst in Teamarbeit eine der zahlreichen Umgebungsfallen aus, wenn etwa ein Spieler wehrlos eine Batterie trägt und von den anderen verteidigt wird. Gleichzeitig achtet »Dead Island 2« sehr darauf, das gemeinsame Spielen so reibungslos wie möglich zu machen. Angenehm ist insbesondere die Koordinaten der Spieler: Der Spielleiter gibt einfach ein Questziel vor, das synchron bei allen Teilnehmern angezeigt wird, inklusive Questmarkern. Loot, egal ob in der Umgebung versteckt oder von den Gegnern gedroppt, ist für jeden Spieler instanziiert, so dass man sich gegenseitig nichts wegnimmt. Schlüssel und ähnliches hingegen müssen nur einmal gefunden und können anschließend von allen benutzt werden.
Trotz dieser willkommenen Schnörkellosigkeit erwischt mich der Koop-Modus dennoch durch die Inszenierung ein bisschen auf dem falschen Fuß. Ich bin kein Freund von allzu redseligem Story-Coop und bevorzuge zum gemeinsamen Spielen wortkargere Spiele wie etwa Diablo oder Returnal. Für meinen Geschmack versucht »Dead Island 2« daher etwas zu sehr, sein Spielerlebnis narrativ zu unterfüttern und übersieht vollkommen (wie leider zu viele Coop-Titel), dass ich zum Spielen nicht mehr Anreiz benötige, als mit einem Kumpel gemeinsam losziehen zu können. Natürlich sollen mir die Autoren gerne einen Vorwand liefern, um weitere Gegner zu beseitigen, jedoch: Bitte nur so knapp wie möglich. »Dead Island 2« verpasst leider das richtige Maß. Das beginnt bereits beim schon erwähnten, deutlich zu langen Spieleinstieg. Ich möchte mit anderen gemeinsam zocken und nicht – wie in diesem Fall genau so geschehen – zunächst eineinhalb Stunden lang parallel statt miteinander spielen. Aber auch danach quatschen die Charaktere leider zu häufig dazwischen, während man sich eigentlich untereinander unterhalten möchte. Bonuspunkte gibt es allerdings für das tatsächlich gar nicht so schlechte Writing und die englischen Synchronsprecher, die mit dem nötigen Witz und Timing unterhaltsame Gespräche aufführen – so man sie denn trotz Voicechat versteht.
Fazit
»Dead Island 2«, ich muss sagen, ich bin überrascht. Denn hinter der hyper-gewalttätigen Fassade steckt deutlich mehr, als lediglich ein eintöniges Festival des schlechten Geschmacks. Zugegeben: Natürlich hat das Spiel auch meine Neugierde ursprünglich nur geweckt, weil es sich als unkomplizierter Zombiesplatter mit Coop präsentierte. Jedoch selbst das nur mit einiger Skepsis. Das Spiel war ewig in der Entwicklung und teilweise jahrelang in der Versenkung verschwunden, was selten ein gutes Zeichen ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Spiel Mängel bei der spielerischen und technischen Qualität mit drastischster Gewaltdarstellung zu übertünchen versucht. Doch »Dead Island 2« ein tolles Spiel geworden und zwar unabhängig vom Gore. Angetan haben es mir insbesondere die hervorragende Optik, die aufwendig gestalteten Kulissen und die spielerische Freiheit, die mit ihrem Mix aus Erkunden, Sammeln und Experimentieren sogar leichte Anklänge an immersive Sims findet. Damit drücken die Entwickler bei mir genau die richtigen Knöpfe: Es macht einfach Spaß, schicke US-Villen und Filmstudios zu durchstöbern, sich auf die Suche nach Waffen, Schlüsseln und Nebenschauplätzen zu machen und natürlich, sich kreativ der Untoten zu erwehren. »Dead Island 2« ist ein echter Überraschungshit geworden. Gut gemacht!