Eine mitreißende Geschichte über den Aufstand der Gamer-Generation
auf dem Cover. Okay, dachte ich, das ist einen zweiten Blick wert und nahm das Buch mit nach Hause.
Ganz ehrlich: LITTLE BROTHER hat mit Games so gut wie nichts zu tun. Die Protagonisten sind begeisterte augmented reality gamer und schlittern dadurch in den dystopischen Plot, das war’s auch schon. Okay, ein paar Xbox-Hacks kommen auch noch drin vor. Warum ich aber trotzdem einen Artikel über LITTLE BROTHER hier schreibe? Weil’s ein gutes Buch ist.
Der 17-jährige Marcus und seine Freunde befinden sich zur falschen Zeit am falschen Ort in San Francisco, als ein paar Terroristen die Oakland Bay Bridge (nein, nicht die Golden Gate Bridge) sprengen. Daher nimmt die Heimatschutzbehörde sie in Haft und als Marcus ein paar Tage später wieder auf freien Fuß gesetzt wird, hat sich Amerika verändert. Marcus kann und will das nicht akzeptieren und beginnt einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen fanatische Patrioten und ängstliche Mitbürger.
Der Autor zeichnet das Bild eines Überwachungsstaates, wie er nur in den USA (und vielleicht in England) entstehen kann. Und als Leser bekomme ich hier richtig Angst, kann quasi fühlen, wie sich Marcus die Kehle zuschnürt, als er immer wieder aufs neue erfährt, wie die Regierung seine Freiheit zu seinem eigenen Schutze einschränkt. Und überhaupt kommt mir nicht in den Sinn, dass ich eigentlich ein SciFi-Buch lese. Beängstigend.
Cory Doctorow hat einen lockeren und umgangsprachlichen Ton für LITTLE BROTHER gewählt. Sicherlich kann das englische Original noch mehr, aber ich habe es als Spontankauf eben auf Deutsch eingesteckt. Trotzdem gut. Hier gibt es die englische Version als kostenlosen Download.
Dieses Buch ist ein Jugendbuch. Leicht und verständlich geschrieben, ohne großartig komplizierte Strukturen. Auch die Charaktere sind überwiegend schwarzweiß, und bis auf den Autor bekommt auch kaum ein anderer Protagonist Tiefgang. Aber das ist egal. Hier geht es um etwas anderes. LITTLE BROTHER ist ein Aufklärungsbuch. Hier geht es um Privatsphäre, Menschenrechte, Informationsgesellschaft, Angst, Fremdenfeindlichkeit und den Überwachungsstaat. Es werden Themen wie Verschlüsselung, Leetspeak oder RFID-Hacks quasi im Vorbeigehen verständlich erläutert und anhand einer sehr spannend inszenierten Geschichte versteht man selbst wieder, warum die eigene Privatsphäre nicht allzu leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte.
This is why I loved technology: if you used it right, it could give you power and privacy.
Mit LITTLE BROTHER hat Cory Doctorow ein Buch geschrieben, dass sowohl einem Jugendlichen, aber auch jedem anderen interessierten Leser, einen Einblick in die Möglichkeiten des (Überwachungs)Staates ermöglicht, einen beängstigenden Einblick. Aber er weckt auch Hoffnung und zeigt, wie man sich zur Wehr setzen kann. Wozu eine funktionierende Presse vonnöten ist, kommt am Ende sogar auch noch raus. Natürlich haben Blogs vorher die ganze Arbeit geleistet ;-)
Ich habe das Buch in zwei Tagen regelrecht verschlungen. Wohl wegen des Themas, aber auch weil’s einfach gut geschrieben ist. Cory Doctorow hat eine Meinung und hält mit dieser auch nicht zurück. Ich für meinen Teil habe aus LITTLE BROTHER einiges mitnehmen können. Falls wir nicht heute darauf achten, wie unser Recht auf Privatsphäre immer mehr beschnitten wird, und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten, so wird es im zukünftigen Ernstfall sicher viel zu spät dafür sein.
Absolut lesenswert. Auch für Gamer.