In den vergangenen Wochen hatten Fans von Games as a Service viel zu spielen, denn sowohl Anthem als auch The Division 2 bewarben sich mit Betawochenden um die Gunst der Spieler. Ich hatte die Möglichkeit, mir beide Spiele auf der PS4 anzusehen – Zeit für ein erstes Fazit.
Ob man nun der Meinung ist, bei »Anthem« und »The Division 2« handelt es sich um sehr unterschiedliche oder sehr ähnliche Spiele, kommt ganz auf die Perspektive an. Während man in »Anthem« mit klobigen Kampfanzügen, den Javelins, über einen grünen Dschungelplanten rennt und fliegt, hechtet man in »The Division 2« in einem gerade im Zerfall begriffenen Washington D.C von Deckung zu Deckung und besichtigt weißes Haus und Kapitol. Doch so unterschiedlich die Szenarien sind, so sehr ähnelt sich das Spielprinzip: Beide Titel setzen auf kooperative 3rd-Person-Action, in denen bis zu vier Spieler gemeinsam Missionen bewältigen oder eine offene Welt erkunden. Kernmotivation ist jeweils, mit anderen zusammen zu spielen, mit dem eigenen Charakter im Level aufzusteigen und bessere Ausrüstung zu finden.
Möge die Macht mit dir sein
Große Stärke von »Anthem« ist, dass es dem Spieler von Beginn an das Gefühl von Macht verleiht. Das geschieht zum Einen durch die Kampfanzüge: Mit einem fliegenden Panzer über einen Dschungelplaneten zu rasen, sich in die Tiefe zu stürzen oder mühelos den höchsten Berg zu erklimmen, ist an sich schon cool. Entscheidender ist aber die Wirksamkeit der Waffen: Egal, welche Ausstattung man wählt, man fühlt sich in »Anthem« immer stark.
So kann ich mich etwa an kein Spiel erinnern, in dem das Sprengen gegnerischer Gruppen mit Granaten so mühelos von der Hand ginge. Der Cooldown solcher Spezialwaffen ist zudem ausgesprochen kurz, was dem Gefühl von Stärke und Kontrolle zusätzlich zugute kommt. Auch das Sci-Fi-Äquivalent zur Schrotflinte ist erstaunlich: Neben dem typisch hohen Schaden der Waffengattung, haben Schrotflinten in »Anthem« auch eine (für Videospielverhältnisse) ungewöhnlich hohe Reichweite. Auf geschätzte 50m kann man zielsicher kleinere Gegner mit einer einzelnen Salve ausschalten und Größere schwer verletzen. Das bedeutet aber nicht, dass die Demo besonders leicht gewesen wäre, im Gegenteil. Dennoch gelang es dem Spiel von Anfang an, einem das Gefühl zu geben, wirklich mächtige Werkzeuge in den Händen zu halten.
Im Gegensatz dazu verheddert sich »The Division 2« ein wenig in seinem Echtweltszenario. In der Hauptstadt der USA tritt man zwar auf dem Papier gegen Menschen an, diese stecken jedoch bereits in der regulären Variante außerordentlich viele Kugeln ein. Auf die später hinzukommenden lilafarbenen und goldene Gegner muss man selbst als Vierergruppe minutenlang ballern. Daher fühlt man sich – abgesehen von der inhärenten Powerfantasy, dass man als Soldat mit Kriegswaffen in Washington D.C. unterwegs ist – in »The Division 2« nicht ungewöhnlich mächtig.
»Anthem« kann hier punkten, da ich dem Szenario eher abnehme, dass ein Panzer auf zwei Beinen oder ein Alien mit Energieschild viele Treffer überleben. Dennoch – das sollte auf keinen Fall verschwiegen werden – machen auch die Schusswechsel in »The Division 2« sehr viel Spaß. Im Eifer des Gefechts ist die ludonarrative Dissonanz schnell vergessen und es geht nur noch darum, möglichst schnell die Gegner auszuschalten und beim Deckungswechsel nicht selbst ins Fadenkreuz zu gelangen.
Das ist mein Charakter. Es gibt viele andere, aber dieser ist meiner!
Auch bei den Individualisierungsoptionen kann »Anthem« naturgemäß kreativer sein. Das betrifft zum einen die oben schon erwähnte Bewaffnung, die auch exotische Ausrüstung wie Blitzspulen oder Säurewerfer beinhaltet. Insbesondere zeigt sich dies aber im coolsten Feature der Demo: Jeder Anzug lässt sich optisch sehr kleinteilig den eigenen Vorlieben anpassen. Teile der Rüstung wie Helm oder Brustpanzer lassen sich austauschen, Lackierungen und Material verändern, man kann Aufkleber anbringen, selbst der Zustand des Javelins – von fabrikneu bis schrottreif – lässt sich auswählen.
»The Division 2« hingegen bot in der Demo erst gar nicht die Möglichkeit, einen eigenen Charakter zu erschaffen, sondern ließ nur zufällig zusammengestellte Avatare zu. Im fertigen Spiel wird man allerdings aus typische Optionen wie Geschlecht, Haut- und Haarfarbe, Frisuren, Bärte und Tätowierungen auswählen können. Hinzu kommen zahlreiche Wahlmöglichkeiten bei Ausrüstung wie Körperpanzer, Rucksack und natürlich den unterschiedlichen Waffengattungen. Insgesamt muss »The Division 2« auch hier bodenständiger als der Konkurrent agieren, ein kurzer Blick ins Endgame verriet aber bereits, dass man sich zumindest nicht fürchten muss, zu wenig Spielzeugauswahl zu bekommen.
Welcome to the (Großstadt-)jungle
Zwar steht das Szenario von »The Division 2« etwas im Konflikt mit der Spielmechanik, gleichzeitig profitiert das Spiel aber auch von seinem Setting. Washington D.C. ist ein wunderbar urbaner Schauplatz, der – mittlerweile große Stärke von Ubisoft – schlicht glaubwürdig wirkt. Es ist cool, hinter Autowracks in Deckung zu gehen, sich Feuergefechte um Kreuzungen zu liefern, Statuen und Brunnen zu bewundern oder an Originalschauplätzen wie dem Nationalarchiv (Dort wird die Unabhängigkeitserklärung ausgestellt) vorbei zu kommen. Doch »The Division 2« spielt nicht nur auf den breiten Straßen und Plätzen der Stadt, sondern auch in Gebäuden, Hinterhöfen und U-Bahn-Stationen.
Die Dschungelwelt von »Anthem« wirkt hingegen beliebig. Wenn man das erste mal mit seinem Javelin startet, setzt das Spiel einen am Rande eines hohen Wasserfalls ab, damit der erste Eindruck der Welt die Aussicht und der nachfolgende Sturz in die Tiefe ist. Bioware versucht sein bestes, den Spieler von den Qualitäten seines Szenarios zu überzeugen: Es gibt viel Wasser, viel Grün, Felsen und Gebirgszüge, aber trotz aller Bemühungen wirkt das alles nur selten spektakulär und meist austauschbar. Es gibt keine echten Landmarken und auch erstaunlich wenig Dickicht, trotz Vegetation. Stattdessen dominieren freie Flächen mit wenigen Gegnern, damit man diese mit den Javelins gut überfliegen kann. Während Washington D.C. gelungen vortäuscht, dass hier in der Vergangenheit tatsächlich mal das Leben stattgefunden haben könnte, ist Anthems Dschungel eher eine sterile und zweckmäßige Kulisse für das Spiel, statt der Versuch, eine virtuelle Welt zu erschaffen.
Gemeinsam einsam
Aber »The Division 2« scheint »Anthem« auch in anderen, fundamentaleren Aspekten überlegen zu sein. Zwar ähneln sich die Missionstrukturen beider Spiele – gehe zu X und ballere auf Gegner – aber »The Division 2« hat das spannendere Leveldesign, das noch dazu vollkommen automatisch Teamplay fördert. Während man sich in Washington D.C. gemeinsam als Gruppe von Straßenzug zu Straßenzug, von Raum zu Raum, von Deckung zu Deckung vorarbeitet, ist die Aufgabenstellung jederzeit geklärt: Wir sind hier, dort drüben sind die Gegner und nun kämpfen wir uns an die gegnerische Stellung heran.
In »Anthem« hingegen entsteht weniger der Eindruck, gemeinsam mit anderen zu spielen. Die vielen offenen Flächen bieten nur wenig Struktur für Taktieren und Teamplay, stattdessen herrscht in der Regel Chaos, in dem alle irgendwie für sich kämpfen. Natürlich bleibt man immer in der Nähe seiner Gefährten, schießt mal auf die gleichen Gegner und unterstützt sich, aber mangels eines klaren Ziels entsteht nur wenig Gruppendynamik und kein echtes Wir-Gefühl. Man gelangt zwar irgendwann zum Ziel, aber währenddessen spielt man eher nebeneinander, als miteinander.
Auf eigene Faust
Auch abseits von Missionen, im Freeroam-Modus, in dem man eigenständig die Spielwelt erkundet, gibt »The Division 2« während der Demo eine bessere Figur ab. In Washington D.C. gibt es sprichwörtlich an jeder Straßenecke etwas zu tun, etwa Nebenmissionen, Gebietseroberungen, Suche nach Waffenkoffern oder Kämpfe mit patrouillierenden Gegnergruppen. Mehrmals wollte ich am letzten Tag der Demo das Spiel beenden, doch »The Division 2« ist es ein ums andere Mal gelungen, mich “nur noch mal eben schnell” dazu zu bringen, noch weitere Dinge zu tun.
»Anthem« hingegen zeigt sich hier – zumindest in der Demo – von seiner schwächsten Seite. Das Freeroaming war geprägt von langatmigen Flügen über leere Landschaften, in denen zu wenig zu tun war. Wenn man doch mal zufällig über eine Aktivität stolperte, waren diese generisch: Meistens ging es darum, einen Bereich eine Zeit lang vor anströmenden Gegnern zu verteidigen, oder eine Handvoll Gegenstände in der Nähe zu sammeln und zu einem Sammelpunkt zu bringen. Außerdem konnte man in der Demo Zugänge zu unterirdischen Dungeons finden, die aus einer handvoll Tunnel und Räume bestanden, in denen Gegner warteten. Diese Abschnitte wirkten allerdings vergleichsweise leer, statisch und unmotiviert, als wäre der echte Content an diesen Stellen noch nicht vollständig implementiert – ich nehme an, dass sich hier noch etwas tun wird.
Abschließend noch ein paar generelle Gedanken über das Fliegen in »Anthem«: Während der Demo schien der Flugmodus kaum mehr zu sein als ein Gimmick. Kreative Einsätze von Vertikalität habe ich nicht gesehen, das höchste der Gefühle war oftmals, dass man mal zu einer Bergspitze fliegen musste, um dort – mit beiden Beinen auf dem Boden stehend – zu kämpfen. Zwar ermöglicht einem der Flug theoretisch die schnelle Flucht, wenn die Lebenspunkte sinken, allerdings wird man in der Praxis sehr häufig von Flugabwehrwaffen auf den Boden zurück geholt. Ich empfand es sogar als eher frustrierend, wie regelmäßig dieses eigentlich effektive Werkzeug durch Flak unbrauchbar gemacht wird. Immer wieder kurz nach dem Abheben unsanft zu Fall gebracht zu werden, beraubt einem auch des Machtgefühls, das »Anthem« an anderer Stelle aufbaut Daher wirkt der Flugmodus momentan noch wie eine effekthascherische Methode der Schnellreise. Das sich die Entwickler des Problems bewusst sind, zeigt auch, dass einer der vier spielbaren Javelins einen Bonus auf sein Schild bekommt, sobald er sich in der Luft befindet – als Anreiz, während der Kämpfe zu fliegen, mag das funktionieren, aber kreatives Level- und Encounterdesign ersetzt das nicht.
Ausblick
Nach der Demo zu urteilen, hat »The Division 2« momentan die Nase vorn. »Anthem« versteht es zwar, mit den Javelins eine coole Powerfantasy auf den Bildschirm zu bringen, verstolpert das gelungene Gameplayfundament dann allerdings mit einer generischen Welt, unkreativen Leveln, die das Gimmick des Spiels nicht stützen und ödem Freeroaming. Insgesamt hat »The Division 2« einen kurzweiligeren, unterhaltsameren ersten Eindruck hinterlassen und fasziniert trotz anfänglicher Glaubwürdigkeitsprobleme mit einem virtuellen Washington D.C. Allerdings hat Ubisoft in der Demo auch deutlich mehr Inhalte gezeigt, so dass sich ein besseres Bild gewinnen ließ.
Das bedeutet allerdings nicht, dass »Anthem« auch langfristig das schlechtere Spiel ist. Für diese nicht idealen ersten Spielstunden sind viele Gründe denkbar. Möglicherweise zeigt sich, dass »The Division 2« den schnellen Einstieg durch fehlende Komplexität erkauft und vielleicht ist es ja gerade der Kürze der Demo geschuldet, dass »Anthem« seine (noch verborgene) Spieltiefe nicht richtig zeigen konnte. In diesem Szenario würde auch das mangelnde Teamplay eher Ausdruck eines Spiels sein, das primär von organisierten Spielern mit Sprachchat gespielt werden will, als mit zusammengewürfelten Zufallsgruppen. Die hochkonfigurierbaren Javelins bieten hier auf jeden Fall das Potential, dass eingespielte Gruppen eigene Taktiken entwickeln können. Auch beim Encounterdesign könnte »Anthem« theoretisch vielversprechend sein: Anders als bei »The Division 2«, bei dem jeder Kampf auf einen Schusswechsel zwischen menschlichen Kontrahenten hinaus laufen muss, haben Biowares Designer im Prinzip unendliche Freiheiten, um interessante Begegnungen und Kämpfe zu entwerfen – zu sehen war davon in der Demo freilich noch nichts.
Offenlegung: EA und Ubisoft haben die jeweiligen Zugänge zu den Demoversionen zur Verfügung gestellt.