Zockwork Orange

1998 hat angerufen, sie möchten ihr Review zurück.

Grim_Fandango_artwork30. September 1998: LucasArts, seinerzeit Mit-Marktführer auf dem Gebiet der allseits beliebten Adventure-Games, wirft eines ihrer letzten “großen” Abenteuer-Spiele, »Grim Fandango«, auf den Markt und läutet damit eine längere kreative Schaffenspause für Spiele-Meisterhirn Tim Schafer, der bis 2005 (»Psychonauts«) nicht viel von sich hören lassen würde. Davor produzierte die Branchenikone in einer Regelmäßigkeit, auf die ein Uhrwerk neidisch wäre, neuen Output: »Monkey Island«, »Day of the Tentacle«, »Full Throttle«…

»Grim Fandango«, Schafers seinerzeit wohl ungewöhnlichstes Spiel sahnte wie erwartet Bestnoten ab, auch wenn viele Spieler offensichtlich Probleme hatten, sich mit dem Setting zu identifizieren, weswegen der Titel heute, 16 Jahre später, im Gegensatz zu seinen Geschwisterchen aus der Feder des Meisters, eher seltener Einzug in abendlichen Adventurerunden findet – Völlig zu Unrecht, vor allem, da »Grim Fandango« der erste Titel ist, der vom Schafer höchstselbst eine zweite Chance bekommen wird. Abseits von sämtlichen halbherzigen Remaster-Versionen von »Monkey Island«, erscheint (vorerst nicht auf dem PC  auch auf dem PC) bald eine überarbeitete Fassung des oldschooligen Adventures. Diese Möglichkeit möchte ich nutzen, um einen Blick zurück zu werfen und das Juwel der Spätneunziger erneut unter die Lupe zu nehmen, in Vorbereitung auf die anstehende Retro-Renaissance.

Frag mich nach Grim Fandango

Eigentlich würde ich hier schreiben, dass Manny Calaveras Leben wirklich kein Zuckerschlecken ist. Um seinen Job als Reisekaufmann ist er ob seiner eher schlechten Kundschaft nicht zu beneiden, während sein Kollege einen hochwertigen Auftrag nach dem anderen an Land zieht. Das Problem an der Sache ist, dass Manny kein Leben hat, denn Manny ist tot.

Sein Dasein in der Welt der Toten, die angelehnt ist an den mexikanischen Dios de los Muertos, inklusive Sugar Skulls und spanischen Akzenten, fristet Manny damit, Tickets für den Eisenbahnzug Nummer 9 zu verkaufen, der auf direktem Wege binnen vier Minuten in die neunte Unterwelt fährt. Das läuft allerdings nicht so, wie er sich das wünscht, vielmehr ist er froh, wenn er einen Gehstock an den toten Mann bringen kann, obschon die Reise zu Fuß stolze vier Jahre dauert und gespickt ist mit allerhand Gefahren. Denn wenn das Geschäft boomt, darf auch er in den Zug steigen.

Sein unsympathischer Kollege Domino kann sich vor ticketkaufenden Kunden kaum retten, weswegen unser totenschädliger Protagonist beschließt, sich auf unlauterem Wege einen der hochwertigeren Käufer zu organisieren: Mercedes. Sie ist der Traum eines jeden Verkäufers, und doch vereitelt Mannys Computer jedweden Versuch, die Ware an die Frau zu bringen, weswegen sie sich per pedes auf den beschwerlichen Weg machen muss. (Mercedes per pedes – Ich bin ein Meister des Witzes!)

Doch Manny wäre kein guter… naja… “Mensch”, wenn er nicht heldenhaft zur Rettung eilen und sich auf die Suche nach der Schönheit begeben würde. Dass sich das schwieriger gestaltet, als man sich vielleicht wünschen würde, ist klar. Dämonen, Verschwörungen und Feuerbiber machen Manny das Unleben zur Hölle und lassen den Spieler gerne mal ratlos vor LucasArts-typischen Problemstellungen verharren. Dabei muss man schon ziemlich um die Ecke denken, aber schlussendlich machen alle Lösungswege irgendwie Sinn – Anders als Daedalic den Adventure-Spirit der Neuzeit interpretiert und mit chaotischen, sinnlosen Rästeln jongliert.

Sugar Skulls und Peitsche

Neben einem gänsehauterzeugenden Soundtrack voller Swing, Big-Band und Jazz, der das 40er-Jahre Agentenfeeling eines Film Noirs produziert, weiß Grim Fandango auch technisch zu überzeugen, zumindest unter 16 Jahre alten Standards. Zwar erreicht Mannys Adventure an herausragenden Plotpeaks leider nur annähernd den Charme eines peitschenschwingenden Archäologen-Haudegen, die ungewohnte Umgebung, in der sich der Spieler bewegt, hat aber etwas ganz Eigenes, das von Sekunde eins fesselt. Auch die Steuerung, mit der das dreidimensionale Modell Mannys durch die vorgerenderten Hintergrunde navigiert wird, ist ein Alleinstellungsmerkmal, das bis dato niemand auf diese Weise in einem solchen Spiel umgesetzt hat. Die Bewegung per Pfeiltasten ist gewöhnungsbedürftig, sollte aber heutzutage, besonders beim vorläufigen Exklusiv-Release auf Sony-Konsolen und -Handhelds, durch die erzwungene Controllernutzung, das geringste Problem darstellen (Update: Kommt auch auf dem PC. Controller-Support, anyone?); Vielmehr freue ich mich drauf, die seinerzeit oft missverständlichen Hindernisparcours erneut zu erleben.

Ein klassisches Inventar gibt es nicht, stattdessen muss der Spieler auf Tastendruck jeden einzelnen Gegenstand, den Manny in seiner Jacke mit sich herumträgt, durchwinken. Das hält auf und ist eigentlich unnötig, vermittelt aber grundsätzlich das Ideal, das Schafer hier vermitteln möchte: Den Spieler intensiver in die Spielwelt einbinden. Ohne störende Menüs, ohne Mauszeiger, ohne Inventar. Das führt zwar dazu, dass man sich weniger intuitiv durch die Spielwelt bewegen kann und auch zum Teil lange, unnötige Wege auf sich nehmen muss, da kein Mouse-Over, sondern nur die Kopfdrehung und Änderung der Blickrichtung des Protagonisten auf Hotspots auf dem Bildschirm aufmerksam macht.

Von Bestnoten und Erwartungen

Da ist es klar, dass viele Spieler mit der ungewohnten Situation überfordert waren – Pfeiltastensteuerung (oder wahlweise per Joystick), fehlende Menüs, die grotesk-verschobene Welt der Toten; Selbst die Höchstwertungen gängiger Spielemagazine (Alle Ausgaben 1/99: Gamestar: 88 % / PC Games: 91 % / PC Action: 90 %) konnten nicht dafür sorgen, dass Grim Fandango – ob hierzulande oder jenseits des großen Teichs – ein großartig-kommerzieller Erfolg wurde. Aber auch der Vormarsch der Ego-Shooter wie Half-Life, Heretic 2, Turok 2 oder Unreal weckte offensichtlich den Actionhunger der Computerspieler Ende des letzten Jahrtausends. Ein Adventure war einfach nicht mehr aufregend genug, lieber wurden bunte Farben, laute Knarren und dreidimensionales Eyecandy dem spritzigen Knobelspaß vorgezogen. Was irgendwie ja auch nachvollziehbar ist.

Ob dieser Wandel in der Erwartungshaltung der Zielgruppe letztlich ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Post-Millenniums-Adventures war? Anzunehmen, ist »Grim Fandango« doch das letzte LucasArts-Adventure seiner Art und das letzte Adventure aus der Feder Tim Schafers für die nächsten 16 Jahre. Erst kürzlich erschien das Kickstarter-finanzierte Point-And-Click-Abenteuer »Broken Age«, das zwar freudig von der Community finanziert und angenommen wurde, schlussendlich allerdings auf gemischte Rezeption stieß, alleine unter dem Aspekt der viel zu niedrig angesetzten Schwierigkeit, was aber wahrscheinlich dem immer jünger werdenden Publikum zuzuschreiben ist. Die Jugend von heute ist halt einfach nichts mehr gewohnt: Schlauchlevel, Autosaves und einfache Rätsel. Umso besser, dass einer der atmosphärischsten Adventuretitel seiner Zeit ein Revival erlebt. Ich beneide jüngere Spieler und alle anderen, die den Titel bisher noch nicht spielen konnten/wollten und nun zum ersten Mal erleben dürfen.

Ich freue mich wie Bolle auf die neu erscheinende Version des Spiels und bin gespannt, welche Features den kommerziellen “Flop” 16 Jahre später zu einem Kassenschlager machen sollen. Du machst das schon, Tim. Solange nicht so eine Strategiescheiße wie in »Brütal Legend« verbaut wird, bin ich zufrieden.

Alle Screenshots stammen von The DOD 

Die mobile Version verlassen